Der Wächter der Mauer

Der Wächter der Mauer

Balandor ging mit gemäßigten Schritt an den Zinnen entlang. Weder mit Eile noch trödelnd. Sein Blick schweifte von den Mauern herunter in die weiten Ebenen. Während er sich umblickte klapperten die vielen metallenen Ornamente, die in seinen tiefbraunen geflochtenen Bart eingearbeitet wurden an seine strahlende Plattenrüstung unter der sich zusätzlich noch ein Kettenhemd befand. Poliert war die Rüstung, aber dennoch sah man viele kleine Kratzer und Scharten, die auf die vielen Jahre des Kampfes an vorderster Front hinwiesen. Sein wettergegerbtes Gesicht verzog sich zu einer finsteren Mine des Frustes, als er die vielen Horden und Monströsitäten vor den Mauern begutachtete. Es werden immer mehr, ging ihm durch den Kopf. Egal wie viele an seinen Mauern zerschellten, es kommen immer mehr nach. Jeder Angriff nimmt an Intensität zu und die Pausen zwischen den Angriffen sind von früher mehrere Mondumläufe auf wenige Tageszyklen geschrumpft. Wie oft werden er und seine Streiter diesen Anstürmen noch standhalten können? Balandor schüttelte den Kopf und damit auch die finsteren Gedanken ab. In ihm breitete sich wieder die typische Sturheit der Zwerge aus. Er ist wie der Stein, aus dem die mächtigen Mauern des Osttors gefertigt sind. Unüberwindbar. Sein Blick glitt nun in den Innenhof der Wehranlage die für die Verteidigung des Portals errichtet wurde und somit einen der drei großen Zugänge ins geschützte Tal hütete. Eine bunte Mischung aus neuen Rekruten stand fast regungslos in Reih und Glied im Hof. Sie kommen frisch aus den inneren Landen und kennen noch nicht den permanten Überlebenskampf an einer der großen Passagen. Obwohl sie versuchten diszipliniert zu blicken, sah er doch in vielen Gesichtern, egal ob Mensch, Hochelf oder Zwerg, Unbehagen und teilweise sogar Furcht. Aber Zweifel führen zum Zögern und Zögern ist der erste Schritt auf dem Weg zur Niederlage!

"Seit 150 Jahren!" erhob Balandor seine Stimme über den Innenhof und fokussierte mit seinen stahlgrauen Augen die jungen Kriegerinnen und Recken im Innenhof. "Seit 150 Jahren bin ich Hauptmann der Ostpassage! Seit 150 Jahren bin ich für die Verteidigung dieses Ortes verantwortlich! Seit 150 Jahren ist es meine Pflicht, als Wachtmeister der Ostmauer, das Tal zu beschützen! Seit 250 Jahren stehe ich hier stets in der ersten Reihe der Verteidiger! Und solange ich atme, solang auch nur ein Tropfen Blut durch meine Adern fließt und solang auch nur ein letzter Lebensfunke die Esse meines Herzens anfeuert, solange, Palandria sei meine Zeugin, werde ich das Osttor halten und das Tal beschützen!" Er holte Tief Luft und lies den Blick erneut über die Reihen der Rekruten schweifen. "Und nun ist es an euch, meine Brüder und Schwestern, mich bei meiner Aufgabe zu unterstützen. Kämpft mit mir Seite an Seite! Lasst uns gemeinsam keinen Schritt zurückweichen! Wir sind die Allianz des Lichts! Wir sind das Triumvirat aus Zwergen, Hochelfen und Menschen. Wir sind mit dem Licht Palandrias gesegnet! Lasst es die feindlichen Horden spüren!" Er nahm das große Horn an seinem Gürtel in die linke Hand und reckte gleichzeitig die perfekt geschmiedete und mit Goldintarsien versehene doppelköpfige Axt mit der rechten in die Höhe! "Für Palandria! Für das geschützte Tal!" schrie er mit voller Inbrunst und bließ anschließend mit aller Kraft in das Horn. Der Schall prallte von den Hängen der Berge ab und echote über die weiten Ebenen. Die Rekruten anworteten ihrerseits mit "Für Palandria! Für das geschützte Tal!" und hämmerten mit ihren Fäusten auf ihre Rüstungen. Die Furcht war aus ihrem Gesicht gewichen und Mut und Stolz war nun in ihren Antlitzen zu erkennen. Balandor ging mit einem Lächeln zurück an die Wehrzinnen und blickte in die sich sammelnden Reihen der Feinde, die einen weiteren Ansturm auf die Mauer starteten. Er wusste es einfach... heute wird die Mauer nicht fallen!

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